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Foto: Gabriela Neeb. |
Was hinter der Bühne geschieht, bleibt den meisten Theaterbesuchern
verborgen. Wir erfahren Insider-Infos, Ensemble-Eskapaden und
Gerüchteküchen-Gebrodel direkt aus erster Hand – von
Menschen im Volkstheater.
Der Beruf des Dramaturgen ist ein Mysterium. Findet zumindest
Kilian Engels, Chefdramaturg am Münchner Volkstheater.
Wie sind Sie ans Theater gekommen?
Als Schüler hab ich irgendwann angefangen, Theater zu spielen, aber
nicht in der Schule, sondern im Jugendclub in Bonn. Das hat mir Spaß
gemacht und dann hab ich, was eigentlich das Wichtigste ist, wenn man
reinkommen will, Praktika beziehungsweise Hospitanzen gemacht. Und als
ich dann mit dem Studium (Germanistik und Philosophie, Anm. d.
Redaktion) fertig war, hab ich tatsächlich ohne eine Bewerbung schreiben
zu müssen, hier angefangen. Ich kannte Christian Stückl aber schon von
den Praktika. Für jeden, der in diese Branche will, kann ich nur sagen,
dass man so früh wie möglich Kontakte knüpfen sollte.
Was genau macht ein Chefdramaturg?
Prinzipiell bin ich Abteilungsleiter einer Abteilung mit zwei Personen
(lacht).
Gemeinsam mit dem Intendanten schauen wir, welche Regisseure wir ans
Theater holen, welche Stücke wir spielen, mit welchen Schauspielern wir
arbeiten, welches Publikum kommen soll.
Ist die Arbeit eines Dramaturgen mehr Kunst oder doch mehr Handwerk?
Nichts davon! Als Künstler wäre ich ja hier völlig falsch. Und
Handwerk ist es auch nicht. Ich denke, dass dieser Beruf schwer
ausbildbar ist. Das hat viel mit Intuition und Erfahrung zu tun. Ist
irgendwie… mystisch.
Ist das Volkstheater denn vorrangig Unterhaltungstheater?
Nein! Dafür haben wir in München ja Privattheater. Die machen eine
Kriminalkomödie mit einem aus dem Fernsehen bekannten Menschen, und alle
haben einen guten Abend. Es gibt zwar die Tendenz, und das hat
natürlich auch damit zu tun, dass wir eher aufs Geld gucken müssen als
die anderen, dass wir versuchen, auf die Zuschauer zuzugehen.
Gleichzeitig nimmt man dem Intendanten auch ab, dass er in genau dieser
Stadt sein möchte, und genau das macht, was er machen will. Plattes
Beispiel: Nacktheit bei uns auf der Bühne, da hat sich noch niemand
beschwert. Das passiert woanders häufiger mal. Könnte an der
Publikumsstruktur liegen, könnte aber auch sein, dass die Zuschauer
nicht das Gefühl haben, dass wir auf Teufel komm raus irgendwas an ihnen
vorbei inszenieren wollen. Aber Unterhaltung würde ich das trotzdem
nicht nennen. Vielleicht eher eine andere Form von Erlebnis.
Welchen Inszenierungsstil vertritt das Volkstheater?
Wir möchten Geschichten erzählen und auch die Möglichkeit zur
Identifikation bieten. Ganz klassisch. Postdramatik spielt keine Rolle
bei uns. Jedes Theater versucht, sich ein klares Profil zu schaffen,
damit man sich nicht gegenseitig auf den Füßen steht.
Wie geht man damit um, wenn ein Stück „floppt“?
Das ist vor allem für die Beteiligten schade, weil da eine
Riesenmenge Arbeit drin steckt. Aber wir müssen uns gewisse Risiken
erlauben, und ich hab glücklicherweise mit Christian Stückl einen Chef,
der mir sehr viel abnimmt bei dieser Risikokalkulation. Der sagt dann,
ich mach jetzt dies und das, damit halte ich euch den Rücken frei und
dann könnt ihr auch zwei Sachen in den Sand setzen, und es läuft
trotzdem stabil. Nebenbei sind wir ja auch subventioniert, und wenn wir
unsere Subventionen nur dafür ausgeben, einen Publikumserfolg nach dem
anderen rauszuhauen, ist das ja auch Quatsch. Ein bisschen
experimenteller darf’s schon sein.
Das Volkstheater hat eine studentische Auslastung von über
25% und ist damit Spitzenreiter der Münchner Theater. Bilden denn
Studenten die hauptsächliche Zielgruppe?
Eine wirkliche Zielgruppe haben wir nicht. Wir wollen alle hier
haben. Und dass wir hier einen so großen Anteil an Studenten haben, was
natürlich super ist, das hat einfach damit zu tun, dass die Leute, die
bei uns arbeiten, auch vergleichsweise jung sind. Das bietet starke
Identifikationsmöglichkeiten. Was uns, glaube ich, auch noch von anderen
Theatern unterscheidet, ist, dass wir kein Abonnementsystem haben. Ergo
sitzen bei uns nur Leute drin, die wirklich darauf Lust haben und die
das wirklich interessiert. Das ist ein unschlagbarer Vorteil.
Sie betreuen seit zehn Jahren Radikal Jung, und es wird von
Jahr zu Jahr internationaler. Ist das von Anfang an so geplant gewesen?
Anfangs haben wir gesagt, das machen wir für die Stadt- und
Staatstheater im deutschsprachigen Raum. Irgendwann konnten wir aber
auch die freien Gruppen nicht mehr ignorieren, haben dann auch das
europäische Ausland miteinbezogen. Letztendlich spiegeln wir eine
veränderte Theaterlandschaft, Performance und Internationalisierung
spielen eine immer größere Rolle. Und gerade die ausländischen
Produktionen werden nur geschaut, weil sie Teil des Festivals sind. Wir
versuchen, jedes Jahr einen Schritt weiter zu gehen. Das ist natürlich
ein großer Luxus, sowas machen zu können.
Kommen denn auch da besonders viele Studenten?
Lustigerweise ist der Altersdurchschnitt beim Festival deutlich höher
als in unseren „normalen“ Produktionen. Es kommen oft auch jahrelang
die gleichen Leute immer wieder, weil das für die dazugehört. Und
vielleicht haben die Älteren den Vorverkauf auch eher im Blick als die
Jungen und sichern sich so die begrenzten Plätze, sodass wir dann an der
Abendkasse hundertfünfzig Studenten wieder heim schicken müssen.
Hatten Sie ein Lieblingsstück in dieser Spielzeit?
Meine Lieblingsstück in dieser ganzen Zeit hier am Haus, sowohl an Arbeit, als auch Resultat gemessen, ist
Moses – Das Mash-Up Musical
von Simon Solberg. Weil es nicht auf einem dramatischen Text beruht, es
lebt massiv vom Live-Erlebnis, und es ist wahnsinnig energetisch und
unterhaltsam und politisch. Aber
Die Räuber haben mir auch gut
gefallen. Sebastian Kreyer hat sich da einen Spaß daraus gemacht und so
inszeniert, dass klar wird: das ist alles so hetero, dass es schon
wieder schwul ist.
Besonders in den Räubern wurde extrem viel gekürzt. Wie textnah muss eine Inszenierung sein, wo ist Schluss?
Nirgendwo! Ist doch Quatsch. Die Vorstellung, wir würden einem
literarischen Text gerecht werden, ist doch eine Illusion. Vielleicht
kommt man in einer literaturwissenschaftlichen Analyse ziemlich nah an
das heran, was der Autor gemeint haben könnte. Aber in einer Aufführung
ist das dann doch weg. Warum machen wir denn den ganzen Klassikerquatsch
noch? Weil wir die Illusion haben, dass wir aus dem beknackten
Schiller, schlechter Shakespeare irgendwie, pubertär und notgeil, dass
wir da noch irgendwas für unser heutiges Leben herausziehen kann. Was
ich extrem fraglich finde. Aber das ist im Allgemeinen ja der Versuch.
Alles andere ist philologisch. Das interessiert wirklich nur noch
Lateinlehrer.
Wie geht es denn jetzt weiter für Sie? Sie verlassen ja nach dieser Spielzeit das Volkstheater.
Im Herbst gehe ich an die Otto-Falckenberg-Schule, werde da
stellvertretender Schulleiter und kümmere mich um die Regieausbildung.
Jetzt stelle ich mir halt die Frage: Wie muss ich junge Menschen
ausbilden, sodass die danach in den Theaterbetrieb einsteigen können?
Schön ist, dass man auf die individuellen Bedürfnisse der Studenten
eingehen kann, das reizt mich sehr.
Wie stark hat Sie die Zeit am Volkstheater beeinflusst?
Ich war wirklich lang hier. Ich konnte hier Sachen machen, die ich wo
anders nicht so umsetzen hätte können, ich habe wertvolle Erfahrungen
gesammelt und konnte dieses tolle Festival veranstalten. Und das leite
ich nächstes Jahr auf jeden Fall noch einmal.
Vielen Dank für das Interview!
Gekürzte Fassung.
©
Valerie Kiendl/
Juliane Becker