Samstag, 29. November 2014

Der Wolf im Märchenwald

Trolle sind nur der Anfang: Im Residenztheater ist zur Zeit Henrik Ibsens Peer Gynt in einer Inszenierung von David Bösch zu sehen.

(c) Thomas Dashuber
Das Bühnenbild dürfte eine der schönsten Konstruktionen sein, die man im Residenztheater nach Martin Kušejs Der Weibsteufel zu sehen bekommt. Der Zuschauer wägt sich im Märchenwald; die Sterne glitzern, die Bäume versprühen dunkle Bequemlichkeit, später wird auch der Mond aufgehen.

In dieser Idylle leben Peer Gynt (Shenja Lacher) und seine Mutter Aase (Sybille Canonica). Ihr Wohnwagen steht inmitten einer Lichtung, Bier ist auch genügend vorhanden. Wer Hemlock Grove guckt, fühlt sich ein bisschen an Peter Rumancek und seiner Mutter erinnert.

Aber der Schein trügt. Peer ist ein Aufschneider, von Aase zwar zum Helden hochstilisiert, im richtigen Leben bekommt er allerdings nicht wirklich etwas auf die Reihe. Perspektiv- und heimatlos wandert er durch die verzauberten norwegischen Wälder, tief verliebt in Ingrid (Friederike Ott), die Braut eines anderen. Als er sie aber nach der Hochzeit entführt, verliert er daraufhin schnell das Interesse an ihr. Die Mädchen sind allenfalls Zertreuung für sein getriebenes Selbst. Nur Solveig (Andrea Wenzl) startet zögerliche Annäherungsversuche, um dem Zerrissenen näher zu kommen. Sie wird bitter enttäuscht werden.

Etwa 30 Jahre später beobachtet man einen vollkommen veränderten Peer Gynt. Lacher spielt den DiCaprio’schen Lebemann, komplett mit beiger Bundfaltenhose und Zigarre in der Hand. Durch Sklavenhandel und andere windige Geschäfte reich geworden, ist er in Marrokko gestrandet. Eine Videoeinspielung dokumentiert Gynts Werdegang auf Amüsanteste: Lachers Gesicht neben Barack Obama, zwischen nackten Playmates, auf einem Dollar-Schein, untermalt von trashigem Hip Hop, got money in my pocket and a bitch on top. Danach: ein enthemmter Peer Gynt, vollkommen größenwahnsinnig, der sich selbst als “den Propheten” betitelt und letztendlich im Irrenhaus endet. Das berühmte Sinnbild der Zwiebel unterstreicht seine Lebensbilanz: viele Hüllen, jedoch kein Kern.


(c) Thomas Dashuber

Die Charakterentwicklung vom unsicheren hin zum übersteigerten Peer Gynt vollzieht er mit viel Leidenschaft und komödiantischem Talent, während Andrea Wenzl, eigentlich ganz untypisch für sie, sanfte Töne anschlägt. Dass die beiden Schauspieler bestens harmonieren, zeigten sie bereits in Orest - ebenfalls unter der Regie von David Bösch.
Dessen bravouröse neue Inszenierung bewegt sich kunstvoll zwischen The Wolf of Wall Street und Legenden der Leidenschaft hin und her und punktet vor allem mit außergewöhnlich ästhetischen Bildern. Als sich Solveig und Peer zwischen mit Lichterketten bespannten Bäumen treffen und das Mädchen ihren herzförmigen Luftballon loslässt, vergeht man fast vor Romantik. Die knorrigen Baumstämme und der frostbedeckte Boden tun ihr Übriges. Es sind Szenen von tiefer Schönheit, welche den krassen Kontrast zu Peers Absturz am Ende noch stärker hervorheben. Gynt ist Ibsens Faust – auf der Suche nach dem Kern, der die Welt zusammenhält. Dass sein ganz persönlicher Kern Solveig heißt und bis zum letzten Moment vergeblich auf ihn wartet, das übersieht er.

Weitere Vorstellungen am 12., 16. und 25. Dezember, Karten ab 8€
Informationen und Spielplan unter www.residenztheater.de

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