Freitag, 17. Oktober 2014

Ich bin der Neue

Sein Lebenslauf liest sich so, wie sein Name für deutsche Ohren klingt: außergewöhnlich. Jisroel Iftach Wilbuschewitz, oder Jeff Wilbusch, wie er sich nennt, ist seit der neuen Spielzeit fest an den Münchner Kammerspielen angestellt – und das noch vor seinem Abschluss an der Otto-Falckenberg-Schule. Das Ausnahmetalent aus Israel erzählt im Interview, auf welchen Umwegen es ihn an die Kammerspiele verschlagen hat und wieso kontroverse Themen auf die Bühne gehören.

© Janine Guldener
Du hast zunächst Wirtschaftswissenschaften in den Niederlanden studiert. Wie kam es dazu?

Meine Mutter wurde in Holland geboren, deshalb lag das nahe. Außerdem hat es mich interessiert, wie Geld ‚funktioniert‘, und in welchem Verhältnis dazu das Glück steht. Das wurde auch das Thema meiner Abschlussarbeit. Mir war zwar schon im zweiten Semester klar, dass aus mir definitiv kein Investmentbanker wird, aber es war mir wichtig, das Studium zu Ende zu bringen. Und ich bin froh, das durchgezogen zu haben, ich hab‘ viel daraus gelernt.

Hattest du vorher schon Avancen, Schauspieler zu werden?

Nein, gar nicht. Ich war auch eher selten im Theater. Ich hab‘ viel Musik gemacht während meiner Schulzeit (The Jeff Project, Anm. d. R.), irgendwann kam dann jemand auf die Idee, dass ich mal zum Vorsprechen gehen sollte. In Israel wurde ich an einer Schauspielschule angenommen, noch während ich parallel meine Masterarbeit geschrieben habe. Und dann hörte ich davon, dass man hier in München noch zwei Männer für den nächsten Studiengang an der Otto-Falckenberg-Schule sucht, das war im Juli 2011.

Warum Deutschland, warum München?

Ich habe einen deutschen Pass. Viele Mitglieder meiner Familie sind deutsche Juden, die während der NS-Zeit nach Israel geflohen sind. Ich war zuvor nie in Deutschland, wollte aber immer verstehen, woher ich komme. Was ‚Deutschland‘ bedeutet. Deshalb bin ich zum Vorsprechen gekommen, auch wenn ich damals kein Deutsch konnte und niemanden hier kannte.

Es ist beachtlich, dass du sofort angenommen wurdest. Viele bereiten sich jahrelang auf die Aufnahmeprüfungen vor und werden trotzdem immer wieder weggeschickt.

Ja, das war schon irgendwie komisch. Man weiß ja, dass sich hunderte Leute für diesen Platz bewerben. Ich hatte auch anfangs nicht den Anspruch, angenommen zu werden. Ich dachte aber, dass das bestimmt eine schöne Erfahrung sein könnte. Wer weiß, vielleicht wurde ich ja nur deshalb angenommen, weil ich zuvor nie wirklich Kontakt mit dem Theater gehabt habe und deshalb anders an die Sache rangegangen bin?

Was hast du beim Vorsprechen vorgetragen?

Einen Monolog aus Henrik Ibsens Ein Volksfeind. Lustige Auswahl, ich weiß (lacht). Außerdem noch einen selbstgeschriebenen Monolog. Das fand ich sehr schön, die Falckenberg ist meines Wissens die einzige Schule, an der man was Selbstgeschriebenes vortragen darf.

Du hast den Ibsen-Monolog auf Deutsch vorgetragen? Obwohl du noch kein Deutsch konntest?

Ja. Ich habe viel mit deutschen Bekannten geübt, ich spreche ja auch Jiddisch und Holländisch, deswegen ging das schon. Klar, Hochdeutsch war das nicht wirklich. Aber mittlerweile hab ich ein bisschen Flow, wenn ich Deutsch spreche (lacht).

Warum Theater – und nicht Film?

Wenn sich was ergibt, würde ich auch Filme machen. Alles, was mich interessiert, würde ich machen. Aber eine Mauer baut man auch nur Stein für Stein.

Gibt es irgendetwas, was du auf der Bühne niemals tun würdest?

Nein. Wenn das berechtigt wäre und ich es nachvollziehen könnte, würde ich, denke ich, alles machen.

Was begeistert dich am Theater?

Die Auseinandersetzung mit Themen, die sonst vielleicht unter den Teppich gekehrt werden. Das hat man bei Die Neger gesehen. Viele sagen zum Beispiel, Rassismus gibt es in unserer Gesellschaft nicht mehr. Das ist falsch! Jeder von uns ist ein bisschen rassistisch. Jeder von uns hat eine gute und eine böse Seite. Die Auseinandersetzung mit diesen Problemen, das ist es, was Theater interessant macht. Natürlich wäre es einfach, ein angenehmes, lustiges Stück zu präsentieren. Das wäre dann erfolgreich, das Publikum würde es mögen. Aber die Diskussionen, die allein der Titel des letzten Stückes ausgelöst hat, zeigen doch, dass man diese kontroversen Thematiken ansprechen sollte.

Das Theater soll uns also helfen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen?

Richtig. Ich denke, wenn da Leidenschaft und klare Gedanken dahinter stehen, ist das auch möglich. Und gerade die Themen, die wir ungern ansprechen, die gehören auf die Bühne.

Vielen Dank für das Interview!

Jeff ist zu sehen in

Die Neger von Jean Genet
Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth

Gekürzte Fassung. © Juliane Becker

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