Dienstag, 14. Oktober 2014

Schwarze Abgründe

In einem Zeitalter, in dem wir es aus Kinderbüchern entfernen lassen, ist es mutig ein Stück zu inszenieren, welches das N-Wort provokativ als Titel trägt: Am Samstag feierte Die Neger in den Münchner Kammerspielen Premiere.

Man nehme ein Stück über Schwarze, die für Weiße eine Szenerie nachspielen, in der ein Neger eine weiße Frau ermordet. Dann fügt man groteske Masken hinzu, legt eine langsam schmelzende Wachsfigur in die Mitte der Bühne, untermalt das Ganze ab und zu mit Hip Hop und paff hat man das kontroverseste Stück des Jahres produziert. Johan Simons ist sich bewusst, in welche Situation er sich begibt. Und so beginnt das Programmheft zur Inszenierung mit einer Vorrede, in der sich der Regisseur zu erklären versucht:
Schwarze halten noch immer als Sündenbock für die Abgründe der weißen Seele her. Jean Genet hat dieses Stück, wie er selbst betont, für ein weißes Publikum geschrieben. Diesem sollte der Spiegel vorgehalten werden. Dieses Publikum wollte er provozieren, indem ihm die rassistischen Klischees vorgeführt werden, mit denen Weiße Schwarze denunzieren, ausbeuten und unterdrücken. Er hat das Stück für schwarze Schauspieler geschrieben, die in einem sehr komplexen Maskenspiel diese Klischees verhöhnen sollten.”

Foto: JU / Ostkreuz

Ein Weißer, der ein Drama gegen die Weißen schreibt, welche von schwarzen Schauspielern verkörpert werden. So weit, so radikal. Nichtsdestotrotz riefen die Premieren in Wien und Hamburg Proteste von Anti-Rassismus-Aktivisten hervor. Unangebrachte Blackfacing-Motive auf den Plakaten, so hieß es, waren der Grund dafür.
Es gab also jede Menge Beef, wie schon 30 Jahre zuvor. Bereits 1983 hatte der große Peter Stein das plakative Stück zur Aufführung gebracht, Genet selbst billigte damals die Besetzung durch weiße Schauspieler. Auch in der Simons’schen Inszenierung sehen wir unter den langen Kleidern der Darsteller die weiße Haut hervorblitzen. Nur Felix Burleson, ein niederländischer Schauspieler mit Wurzeln in Surinam, bildet die Ausnahme.
Blöderweise hat er fast keinen Text. Meist beobachtet er die Clownerie um sich herum mit einem Lächeln und gibt ab und an zustimmende Töne von sich. Am vorherrschenden rassismusgeprägten Wortdurchfall (“Die Neger sollen sich vernegern”) stört er sich wenig.


Spätestens mit der Sichtung der Masken hat sich der rassistische erste Eindruck aber in Luft aufgelöst. Nichts anderes als eine Maskerade, eine Karikatur kann dieses Schauspiel sein, tragen doch alle Darsteller lachhaft eiförmige Masken auf dem Kopf. Einige sind mit eindeutigen Zeichen versehen, sodass die Identifikation leichtfällt, so hat der Richter (Edmund Telgenkämper) das Gesetzbuch mit Klettverschluss auf seinen Schädel gepappt, und der Missionar (Hans Kremer) trägt im erzbischöflichen Stil das Kreuz auf dem Haupte. Wie das Ensemble überhaupt seine Luftzufuhr sicherstellt, das bleibt unbekannt. Stattdessen ergehen sich alle in kolonialem Geschwafel und ziehen gesichtslos und puppenartig ihre Bahnen über die Bühne, während der Corpus Delicti sich langsam plätschernd ins Liquide zurückverwandelt.

Burleson und Stefan Hunstein teilen sich die Rolle des Spielleiters Archibald. Eine Rolle in zwei Körpern, das kann nicht gut gehen. Die schockierend schlechte Kostümierung von Hunstein wirkt, als hätte sich der Schauspieler in der Garderobe noch schnell selbst die braune Latexmaske ins Gesicht geklebt, die Augen glitzern unpassend blau hervor, die Glatzenkappe sitzt nicht richtig. Gewollt oder ungewollt schlecht, das ist hier die Frage.
Es hat was von Inception. Hautfarben-Inception. Weiße, die Schwarze spielen, die Weiße und Schwarze spielen, die Weiße ermorden – Was für ein Chaos. Ein hochstilisiertes zwar, aber dennoch Chaos. Verhaltener Applaus, hauptsächlich für die körperliche Belastung, der sich die Schauspieler erfolgreich gestellt haben. Man hätte dann doch lieber ihre Gesichter als diese Masken gesehen.

Weitere Vorstellungen am 20. und 30. November, Karten ab 8 Euro
Informationen und Spielplan unter www.muenchner-kammerspiele.de

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