Mit
The Lottery testete der israelische Regisseur
Saar Székely, 29,
die Grenzen des freien Willens aus - heute lässt er sich ganz freiwillig interviewen.
Gekürzt und bestmöglich aus dem Englischen übersetzt.
Welche Inspiration hattest du für The Lottery?
Die Kurzgeschichte
The Lottery in Babylon des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges. Sie beschreibt, grob gesagt, eine Gesellschaft, in der alles von der genannten
Lottery ausgeht. Das Interessante daran ist, dass die
Lottery eine neutrale Instanz darstellt; sie wird weder als positiv, noch als negativ empfunden. Das war uns auch beim Projekt wichtig. Wir wollen nicht manipulieren, oder gar bestrafen. Es ging uns vor allem darum, einen Raum zu schaffen, in dem man frei von Identität und sozialem Status ist, um unvoreingenommen miteinander agieren zu können.
To free people from identity.
Oft sagen mir die Teilnehmer auch, dass sie das Gefühl hätten, überwacht oder gefilmt zu werden. Das ist aber nicht wahr. Die erste Regel des Projekts lautet: Es wird nichts dokumentiert. Keine Fotos, keine Videos. Es würde den Moment zerstören. Dieses Interview stellt auch nur eine Ausnahme dar, weil
The Lottery in München schon vorbei ist
(lacht).
Welchen Zweck hatten die Interviews vor dem eigentlichen Projekt? Und warum musste man so intime Details preisgeben?
Ich sehe die Interviews als
pre-performance. Die Interviewer selbst waren also eigentlich auch Performer. Zunächst hatten die Fragen natürlich den Zweck, dich auf das Folgende vorzubereiten.
Hat gut geklappt. Aber warum so seltsame Fragen?
Naja, es ging viel um Selbstreflektion, daher zum Beispiel die Frage, was deine größte Angst ist. Oder, was dein fünfjähriges Ich zu deinem heutigen Ich sagen würde.
Besonders spannend ist natürlich auch die Rolle des Interviewers. Er oder sie befindet sich in einer sehr sensiblen und verletzbaren Position. Vor allem durch die "Würdest du mit mir schlafen, ja oder nein"-Frage. Schon deswegen bin ich den Interviewern sehr dankbar, dass sie mitgemacht haben.
Siehst du The Lottery eher als ein künstlerisches, oder als ein politisches Projekt?
Das ist eine verdammt schwere Frage. Ich will eigentlich keines von beiden verneinen
(lacht). Aber Kunst ist eine Form der Äußerung, die genutzt werden kann, um politische Vorgänge zu hinterfragen.
Art is also an excuse. Wobei ich hier nochmals betonen muss, dass wir nichts im Sinne von Orwell's
1984 veranstalten wollten. Wir befinden uns auch hier in München in einer sehr speziellen Situation.
Warum speziell?
In Israel kennen mich viele Leute. Sie wissen, was sie erwartet, wenn sie zur
Lottery gehen. Ich hatte schon Teilnehmer, die fünf, sechs Mal dabei waren, die praktisch süchtig nach dieser Identitätsaufhebung sind. Hier kaufen sich die Menschen ein Ticket und erwarten vielleicht eine klassische Theateraufführung. Da ist natürlich eine ganz andere Präsenz zu erwarten, als wenn ich das in Israel aufführe.
Ich habe von über zwölf Stunden andauernden Lottery's gelesen.
Ja, das geht aber wirklich nur, wenn wir den Teilnehmern vorher genau erklären, dass sie in dieser Situation anders agieren müssen. So sagt der Computer beispielsweise, wann man sich schlafen legen soll und so weiter. Dazu gehört eine Menge Vertrauen in den Veranstalter. Sowas wäre in München nicht machbar.
Denkst du, dass man nach The Lottery anders über seine Identität denkt?
Ich kann nur von mir reden, und mein Leben hat die
Lottery definitiv verändert. Man nimmt sich und die Rolle, die man in der Gesellschaft spielt, ganz anders wahr.
Als ich Teilnehmer war, gab es wirklich nur sehr einfache Aufgaben. Was war das Schlimmste, was man machen musste?
Wir haben, besonders in Israel, einfach Anweisungen eingebaut, bei denen wir sicher waren, dass die sowieso niemand befolgen würde. Einer der tollsten Momente bei der
Lottery ist sicherlich, wenn du eines besseren belehrt wirst und einer der Teilnehmer einfach mitmacht.
Da gab es zum Beispiel eine Inszenierung in Tel Aviv, bei der der Computer die Anweisung gab, in einem abgetrennten Raum zu masturbieren und dabei laut die israelische Nationalhymne zu singen. Der Kerl hat das wirklich gemacht. Und das, obwohl die Nationalhymne sozusagen ein internes Heiligtum darstellt. Das war schon ziemlich nice.
(Anmerkung: Saar Székely vertritt offen eine sehr kritische Haltung gegenüber Israel, was in seinem Heimatland als tief beleidigend empfunden wird. Nach einer Diskussion im Fernsehen, bei der er offen die Außenpolitik kritisierte, wurden ihm vier Bodyguards zugewiesen, um ihn vor etwaigen Anschlägen zu schützen.)
Bekommt ihr in irgendeiner Weise finanzielle Unterstützung?
Nein. Israel ist wirklich die Hölle für Künstler. Diejenigen, die davon leben wollen, müssen international auftreten. Aber in Israel sind die Menschen auch irgendwie...
more supportive. Wir konnten in eine Bar oder Galerie gehen, denen unser Projekt erklären und hatten sofort ihr Interesse geweckt und konnten einen ihrer Räume benutzen. Deswegen war das alles nicht besonders schwierig, finanziell gesehen. Ich glaube, in München ginge das nicht so einfach.
Wirst du bald ein neues Projekt starten?
Ich denke tatsächlich an eine Single-Performance-Show. Auf einer Bühne. Dabei hasse ich das Theater! Das Spielen einer Rolle liegt mir nicht. Ich habe mich immer selbst als performendes Subjekt gesehen. Aber ich habe einige interessante Ideen.
Wäre es wichtig für dich, den Publikumspreis zu gewinnen?
Das ist lustig, weil ich, als ich herkam, noch gar nicht wusste, dass das ein Wettbewerb ist! Eigentlich ist es mir ziemlich egal. Ich würde mich natürlich über das Geld freuen. Ich will dich nicht anlügen, ich mag Geld. Man kann so viele schöne Dinge damit machen. Leben, zum Beispiel.
Das Interview dauerte fast drei Stunden, daher waren extreme Kürzungen notwendig. Um mehr über Saar und seine Projekte zu erfahren, hier seine Website:
http://www.saarszekely.com/