Mittwoch, 6. Januar 2016

Hier gibt's so schnell nix mehr zu sehen.

Was für zwei absolut famose Jahre das waren. Ein kleiner Blog für mich, ein großer Schritt für mein Leben - so groß, dass ich absolut keine Zeit mehr habe, dieses kleine Stückchen Internet angemessen zu pflegen. Ich bin stattdessen auf anderen Kanälen vertreten; wer von mir lesen möchte, kann das unter anderem hier tun:


Wer mich sucht, findet mich im Theater, an der Bar oder in meinem Bett. Oder auf Facebook. Oder mailt mir unter juliane@mucbook.de.

Vielen Dank für zwei wunderschöne Jahre.

    Donnerstag, 5. Februar 2015

    Die Ekstase ohne Ende

    Im Residenztheater feuert Frank Castorf, das enfant terrible der deutschsprachigen Theaterszene, mit seiner Inszenierung von Baal ein wahres Feuerwerk an Gewalt, Sex, Drogen und Liebe ab.

    Wo Castorf drauf steht, ist sicher nicht Stückl drin. Frank Castorf ist kein Mann für Warmherziges. Es scheint fast so, als habe der alte Herr Spaß daran, jede seiner Inszenierungen noch ein wenig durchgeknallter, noch ein wenig orgiastischer, noch ein wenig grausamer zu gestalten. “Man weiß doch, was man bei mir bekommt” – so ist es. Vergesst niedliches Volkstheater, hier kommt Baal. Brechts juveniler Erguss hat seinen Verfasser nie zufrieden gestellt, ständig hat der gute Bertolt an seinem Entwurf herumgeschraubt, nie war er wirklich glücklich damit. Castorf war es auch nicht, und so hat er den Originaltext mit Rimbaud und Sartre versetzt und das Szenario nach Indochina verlegt. Die viereinhalb Stunden beginnen und schließen mit einem stakkatoartigen Sprechfeuer der Darsteller, die schließlich am Ende ihrer Kräfte kapitulieren. Vor Brecht, vor Castorf, vor dem Publikum. Bibiana Beglau ringt nach Luft, Andrea Wenzl knicken fast die Beine weg, Franz Pätzold bricht die Stimme ab.

    (c) Thomas Aurin
    Baal, der trinkt, spielt, fickt, frisst, säuft und noch mehr fickt, ist eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Er nimmt sich, was er will, benutzt Männer wie Frauen, existiert jenseits jeglicher Moral oder Konsequenz. Der ihn verkörpernde Aurel Manthei stolpert mal nackt, mal halb entkleidet über die riesige Bühne, deren Errichtung das Residenztheater Millionen gekostet haben soll. Castorfs Bühnenbildner Aleksandar Denić hat ein drehbares, chinesisch anmutendes und videotechnisch ausgekleidetes Hochglanzobjekt erschaffen, in dem Baals Geschichte dokumentiert wird. Hinter der Bühne, für den Zuschauer nur durch Kamerazuschaltung einsehbar, ein Greenscreen, vor dem die Schauspieler ein gutes Drittel der Aufführung verbringen. Groteske Zuschnitte von Apocalypse Now werden eingespielt, Schweine verzehrt, der Champagner fließt in Strömen. Baal ist monumentales Chaos, Regietheater par excellence. Seltsamerweise bleibt der Saal dennoch recht voll. Ist Castorf im erzkatholischen München angekommen?

    Nach den ersten drei Stunden stellt sich fast so etwas wie eine apathische Katharsis beim Zuschauer ein. Immerhin sitzt man jetzt schon lange drin, da kann man sich auch noch den Rest geben. Langweilig wird es nicht. Dennoch strapaziert das Stück die Nerven, man möchte sich den Darstellern anschließen und rauchen und trinken dürfen, um bei der Sache zu bleiben. Der gelebte Exzess verführt.

    Am Ende bleibt ein bodenloser Respekt vor den Schauspielern, die sichtbar ihre Grenze überschritten und ihr Bestes – und Schlechtestes – aus sich heraus geholt haben. Castorfs Baal ist das greifbare Böse, die überschrittene Ekstase ohne Ende und die leidenschaftlichste Inszenierung seit Langem.

    Weitere Vorstellungen am 07., 13. und 28. Februar, Karten ab 8 Euro
    Informationen und Spielplan www.residenztheater.de

    Mittwoch, 4. Februar 2015

    Es sagt mir nichts, das sogenannte Wir

    Die (angebliche) Generation Y, verpackt in einer Inszenierung: Sibylle Bergs Stück mit dem umständlichen Titel Und jetzt: Die Welt! – Es sagt mir nichts, das so genannte Draußen feierte am Dienstag im Münchner Volkstheater Premiere. Eine Wutkritik.

    Das bin also ich. Das also bist du. Das ist also diese viel beschriebene, oft belächelte, selten bemitleidete Generation Y. Die Generation Warum-Mach-Ich-Das-Doch-Gleich? Die Generation, über die Menschen Bücher mit Titeln wie Hört auf zu heulen schreiben. Ständig vor dem Smartphone, soziophob, optimierungwütig. Danke Frau Berg, danke für diese vollkommen wahnwitzige und undifferenzierte Stigmatisierung.

    (c) Gabriela Neeb

    Sybille Berg, die Frau von Welt(schmerz). Selbst ernannte Gallionsfigur des neuen deutschen Feminismus, mit über 50 jetzt auch noch Generationenexpertin. Ist übrigens auch mein Ziel. Also, auf SPIEGEL ONLINE meine kruden Gedanken in Form von Kolumnen veröffentlichen zu dürfen, in denen ich dann Bashing der Extraklasse betreibe. Wenn ich mal so weit bin, dann werde auch ich Frauen sagen, wie sie nicht sein sollten. Frau Berg kommt damit ja auch durch. Sie darf dieses Gewäsch sogar auf Programmhefte drucken. Ein Auszug:

    “Liebe Mädchen (…), ich möchte euch sehr ersuchen, alles zu werden, was ihr wollt (solange es nicht das Tanzen an einer Stange beinhaltet). Also alles könnt ihr werden, nur nicht süß. (…) Macht alles, aber werdet nicht süß, denn dann könnt ihr auch auf eure Stirn tätowieren: Nehmt mich bloß nicht ernst. Dann könnt ihr auch gleich Schmuck-/Accessoire-Designerin oder Model/Moderatorin werden oder einen tollen Mann finden. (…) Aber verdammte Hacke, macht euch unabhängig. Von einem Ernährer, von dem Verfall, von all dem Stuss, den Zeitungen und Photoshop euch erzählen.” SPIEGEL ONLINE, 11.10.2014

    Zusammenfassend: Liebe Mädchen, ihr könnt alles werden, was ihr wollt. Vorausgesetzt, es harmoniert mit Frau Bergs Vorstellungen einer Feministin. Zu sagen, frau müsse sich unabhängig machen, dann aber Designerinnen/Moderatorinnen (= dümmlich konnotierte, wenn auch meist unabhängige Berufe) unterm Strich zu verdammen, zeugt von einem mikroskopischen Tellerrand. Das ist ungefähr so sinnvoll wie die Aussage, eine Frau dürfe sich im Schlafzimmer niemals devot verhalten, weil das nicht im Sinne des Feminismus sei.

    Was reg’ ich mich auf. Angesichts von Bergs persönlicher Vorgeschichte sei ihr das ein oder andere dem “Papierkorb”-Ordner entwischte Essay verziehen. Ihr Stück Und Jetzt: Die Welt! stellt im Berg’schen Universum auch noch das kleinere aller Übel dar. Beschrieben wird fragmentarisch die Sinnsuche des durchschnittlichen Twentysomething-Mädchens. Weil das aber mit Skype, unglücklich verliebt sein und Viagra kochen komplett ausgelastet ist, verteilt “Frau Sibylle” ihren Sud aus Selbstmitleid und Welthass auf drei junge Darstellerinnen. Zwei von ihnen sind Gastschauspieler, eine noch an der Falckenberg, die andere schon durch Rosenmüllers gutdeutsche Kinofilme bekannt. Die dritte im Bunde ist die großartige Lenja Schultze, die seit 2013 fest im Ensemble spielt.

    Regisseurin Jessica Glause komplettiert die Frauenrunde und siedelt die Inszenierung irgendwo neben Pathologiestation und Chemielabor an; abwischbar, ersetzbar, seelenlos wie das Leben der namenlosen Erzählerin, so die Semiotik. Plastikvorhänge umrahmen die Kleine Bühne, die Mädchen stecken in diffusen Kostümen, die sich zwischen Skiunterwäsche und OTTO-Katalog-Sortiment bewegen. Diese drei Mittzwanziger, natürlich wunderschön und mit perfekten Körpern, philosphieren nun über das Leben. Oder über das, was sie Leben nennen, denn zwischen hundert Chatnachrichten und einem Anruf der Mutter passiert eigentlich nicht viel. Verliebt in die beste Freundin sind sie, zu dick für Größe 36, wütend und verzweifelt. Opfer ihres Selbstmitleids, so würde ich es formulieren. Denn mir sagt es nichts, dieses “wir” von dem sie sprechen und damit ihre Altersgenossen meinen, zu denen ich faktisch zähle.
    Die Momente des Wiedererkennens sind vorhanden, natürlich. Etwa bei dem Satz “Liebeskummer gibt mir das Gefühl, eine außerordentlich emotionale Person zu sein.”. Grandios! Genau wie die karikatureske Zumbastunde der Freundin, die man miterleben muss. Oder die Kritik an unserer hollywoodgeschwängerten und realitätsfernen Auffassung von Partnerschaft. Sie sind da, dieses Augenblicke, in denen man ekstatisch mit dem Kopf nicken und Sibylle Berg die Hand schütteln möchte. Nichtsdestotrotz kann man der Autorin nicht die Fähigkeit zusprechen, die Probleme dieser, unserer, meiner Generation darzustellen. Denn sie ist nicht Teil dieser Generation. Sie ist lediglich eine Frau, die, so scheint es, aufgegeben hat. Die nicht mehr willens ist, die Widrigkeiten des Lebens als das anzuerkennen, was sie sind, nämlich Widrigkeiten. Um Gottes Willen, ich bezweifle nicht, dass sie mehr erleiden musste, als ein Mensch ertragen kann. Trotzdem: ihr Bild des klassischen Generation-Y-Mädchens entspricht nicht der Wirklichkeit. Wir sind vielleicht Heulsusen, Handysuchtis, beziehungsgestört und haben Zukunftsängste. Aber ziellos, das sind wir nicht.

    Informationen und Spielplan unter www.muenchner-volkstheater.de


    Freitag, 5. Dezember 2014

    Don't stop the party

    Zwei Monate nach dem letzten Oktoberfest inszeniert Regisseur Hakan Savaş Mican ein neues Gelage: Kasimir und Karoline feierte vergangene Woche im Münchner Volkstheater Premiere.

    Ödön von Horváths gesellschaftskritisches Gesamt(kunst)werk befasst sich vor allem mit der Aufarbeitung sozialpolitischer Stoffe; bereits mit Geschichten aus dem Wiener Wald zeigte Volkstheater-Intendant Christian Stückl eindrucksvoll, wie aktuell Hováths Themen auch knapp 80 Jahre nach dem Tod des Autors sind. Beißende Kritik, verkörpert von perspektivlosen Kleinbürgern, das kommt auch 2014 noch gut. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, wenn man sich auch heute, immer noch im Schatten der Weltwirtschaftskrise, gut in die gleichnamigen Protagonisten von Kasimir und Karoline hineinversetzen kann.
     © Arno Declair
    Jean-Luc Bubert und Xenia Tilling mimen das frisch verlobte Paar, das einen Ausflug auf das Oktoberfest macht. Stilecht in der Lederhosn kommt außer dem obligatorischen Preissn Speer (Michael Tregor) allerdings niemand. Die Gesellschaft trägt bunte Röcke und Schirmmützen und versucht den Alltag zu vergessen. Kasimir gelingt das nicht so richtig. Noch am Tag zuvor wurde ihm sein Job als Lastwagenfahrer gekündigt, nun hat er kaum mehr als ein paar Mark in der Tasche. Karoline ist hingegen eine selbstständige Frau, arbeitet in einem Büro und möchte sich amüsieren, Kasimirs Trübsal versteht sie nicht. “Vielleicht sind wir zu schwer füreinander”, sagt sie ihm und macht sich allein auf, die Wiesn zu erkunden. Schon bald zieht sie eine Schar von Verehrern hinter sich her, allen voran der Zuschneider Eugen Schürzinger (Oliver Möller). Er beschenkt sie mit Luftballons, Achterbahnfahrten und Aufmerksamkeit, wirkliches Interesse will bei Karoline aber nicht aufkommen. Erst als Schürzingers Vorgesetzter, der Kommerzienrat Rauch (Robert Joseph Bartl), ebenfalls auftaucht, glimmt in ihr das Flirtverhalten auf. Ihre Absichten sind klar: eine Gesellschaftsstufe höher möchte sie, und sei es nur für einen Abend auf dem Oktoberfest.

    © Arno Declair

    Währenddessen trifft der angetrunkene und schlecht gelaunte Kasimir seinen alten Freund, den Merkel Franz (Pascal Riedel) und dessen Frau Erna (Mara Widmann). Der verdient seine Brötchen mit Autodiebstählen und überredet Kasimir, bei seinem nächsten Coup mitzumachen. Für einen von ihnen wird die Sache nicht gut ausgehen. Hakan Savaş Micans Erstlingswerk besticht durch fetzige Kostüme, einfühlsame Momente und durchaus lustige Situationen, dennoch kann keine Wiesnstimmung aufkommen. Zu zäh fließen die Dialoge, zu langsam entwickelt sich die Geschichte. Die abgrundtief traurige Story einer gescheiterten Beziehung bleibt auf der Strecke, eine wilde Party bekommt man aber auch nicht zu sehen. Es ist ein bisschen wie das letzte Noagerl in der Maß: trinken kann man’s schon, schmecken tut’s aber nicht unbedingt. Die Überraschung des Abends ist hier aber eindeutig Pascal Riedel, ganz ungewohnt als Bad Boy. Sonst immer als Sensibelchen besetzt, glänzt er in dieser Inszenierung durch konsequente Badass-Manier, abgerundet durch das Zuhälteroutfit mit Pelzmantel. Ein schöner Kontrast zu seinen bisherigen Rollen, etwa in Supergute Tage. Mehr davon, bitte. Fazit: Lieber Christian Stückl die Volksstücke überlassen. Der lebt sein Faible für die alten Klassiker nämlich kontinuierlich aus, das nächste Mal im Januar mit Nathan der Weise. Vielleicht ist die Stimmung da dann besser.

    Weitere Vorstellungen am 05., 06. und 18. Dezember
    Karten ab 8 Euro

    Informationen und Spielplan www.muenchner-volkstheater.de

    Samstag, 29. November 2014

    Der Wolf im Märchenwald

    Trolle sind nur der Anfang: Im Residenztheater ist zur Zeit Henrik Ibsens Peer Gynt in einer Inszenierung von David Bösch zu sehen.

    (c) Thomas Dashuber
    Das Bühnenbild dürfte eine der schönsten Konstruktionen sein, die man im Residenztheater nach Martin Kušejs Der Weibsteufel zu sehen bekommt. Der Zuschauer wägt sich im Märchenwald; die Sterne glitzern, die Bäume versprühen dunkle Bequemlichkeit, später wird auch der Mond aufgehen.

    In dieser Idylle leben Peer Gynt (Shenja Lacher) und seine Mutter Aase (Sybille Canonica). Ihr Wohnwagen steht inmitten einer Lichtung, Bier ist auch genügend vorhanden. Wer Hemlock Grove guckt, fühlt sich ein bisschen an Peter Rumancek und seiner Mutter erinnert.

    Aber der Schein trügt. Peer ist ein Aufschneider, von Aase zwar zum Helden hochstilisiert, im richtigen Leben bekommt er allerdings nicht wirklich etwas auf die Reihe. Perspektiv- und heimatlos wandert er durch die verzauberten norwegischen Wälder, tief verliebt in Ingrid (Friederike Ott), die Braut eines anderen. Als er sie aber nach der Hochzeit entführt, verliert er daraufhin schnell das Interesse an ihr. Die Mädchen sind allenfalls Zertreuung für sein getriebenes Selbst. Nur Solveig (Andrea Wenzl) startet zögerliche Annäherungsversuche, um dem Zerrissenen näher zu kommen. Sie wird bitter enttäuscht werden.

    Etwa 30 Jahre später beobachtet man einen vollkommen veränderten Peer Gynt. Lacher spielt den DiCaprio’schen Lebemann, komplett mit beiger Bundfaltenhose und Zigarre in der Hand. Durch Sklavenhandel und andere windige Geschäfte reich geworden, ist er in Marrokko gestrandet. Eine Videoeinspielung dokumentiert Gynts Werdegang auf Amüsanteste: Lachers Gesicht neben Barack Obama, zwischen nackten Playmates, auf einem Dollar-Schein, untermalt von trashigem Hip Hop, got money in my pocket and a bitch on top. Danach: ein enthemmter Peer Gynt, vollkommen größenwahnsinnig, der sich selbst als “den Propheten” betitelt und letztendlich im Irrenhaus endet. Das berühmte Sinnbild der Zwiebel unterstreicht seine Lebensbilanz: viele Hüllen, jedoch kein Kern.


    (c) Thomas Dashuber

    Die Charakterentwicklung vom unsicheren hin zum übersteigerten Peer Gynt vollzieht er mit viel Leidenschaft und komödiantischem Talent, während Andrea Wenzl, eigentlich ganz untypisch für sie, sanfte Töne anschlägt. Dass die beiden Schauspieler bestens harmonieren, zeigten sie bereits in Orest - ebenfalls unter der Regie von David Bösch.
    Dessen bravouröse neue Inszenierung bewegt sich kunstvoll zwischen The Wolf of Wall Street und Legenden der Leidenschaft hin und her und punktet vor allem mit außergewöhnlich ästhetischen Bildern. Als sich Solveig und Peer zwischen mit Lichterketten bespannten Bäumen treffen und das Mädchen ihren herzförmigen Luftballon loslässt, vergeht man fast vor Romantik. Die knorrigen Baumstämme und der frostbedeckte Boden tun ihr Übriges. Es sind Szenen von tiefer Schönheit, welche den krassen Kontrast zu Peers Absturz am Ende noch stärker hervorheben. Gynt ist Ibsens Faust – auf der Suche nach dem Kern, der die Welt zusammenhält. Dass sein ganz persönlicher Kern Solveig heißt und bis zum letzten Moment vergeblich auf ihn wartet, das übersieht er.

    Weitere Vorstellungen am 12., 16. und 25. Dezember, Karten ab 8€
    Informationen und Spielplan unter www.residenztheater.de

    Etwas dreckiger, bitte

    Genau fünfzehn Minuten dauerte es, bis der erste BH auf die Bühne flog: The Baseballs brachten am Dienstag ein Stückchen Rock ‘n’ Roll zurück in die Muffathalle.


    So viel Testosteron spürt man sonst nur beim WWE SmackDown. Das liegt einerseits an der überraschend hohen Zahl an männlichen Gästen, andererseits an der geballten Power der sieben Jungs auf der Bühne. Im Vordergrund: Basti, Sam und Digger, besser bekannt als The Baseballs. Dahinter: ihre vierköpfige, absolut fantastische und akrobatisch hochbegabte Band.

    Sie legen ohne Umschweife, sprich ohne Vorband, los. Ein Warm-Up ist auch nicht nötig. Der klassische 50s-Takt geht sofort ins Bein. Platz zum Tanzen ist leider nicht da, deshalb begnügt man sich mit ausschweifendem Hüftgewackel.
    Besser können es die Kerle auf der Bühne. Es braucht gerade mal fünfzehn Minuten, bis ihnen der erste Spitzen-BH entgegenflattert. Ein bisschen irritiert hängen sie ihn an das Schlagzeug, dann wird weitergemacht.

    The Baseballs gehören zu den wenigen Bands, die live besser sind als auf jeder Platte. Ihre Performance spielt da sicher mit rein. Sie sind bis zur Perfektion hochstilisiert. Haartollen, enge Jeans, Lederjacken. Und der Hüftschwung. Den beherrscht allerdings nur Sam richtig gut. Der Münchner würde ihn als “Mannsbild” bezeichnen, ein Berg von einem Mann. Digger, der auf den schönen Namen Rüdiger getauft wurde, deckt die Kulleraugenspalte ab, und Basti ist offenbar der Witzbold der Truppe. Sie erfüllen sämtliche mögliche weibliche Fantasien, das dürfte ihr Erfolgsrezept sein. Die Stimmung ähnelt einem Elvis-Konzert in den 1950er Jahren. Kreischende, dehydrierte Fans aller Altersklassen, von 16 bis 66 ist alles vertreten. Es ist aber auch eine Wahnsinnsidee: aktuelle Songs mit Rock ‘n’ Roll covern, meistens sogar verbessern. Rihannas Umbrella wirkt recht fad gegen die Version der Baseballs.



    Aber: sie sind zu sauber. Das Konzert läuft zu perfekt, zu durchgetaktet. Zwar wird brav mit den Fans interagiert, dennoch bleibt eine etwas gezwungene Atmosphäre. Sie sind einfach zu brav. Sagen wir es so, der durchschnittliche Familienvater hätte kein Problem damit, sein Töchterchen alleine auf eines ihrer Konzerte zu schicken, Hüftschwung hin oder her. Sie wirken ein bisschen wie aus der Coca-Cola-Werbung, süß, aber ein bisschen zu schmalzig. Schade eigentlich, manche mögen’s ja doch dirty.

    Nichtsdestotrotz sind sie erwachsen geworden. Seit ihrem Karrierestart 2009 hat sich einiges getan, ihr Stil hat sich verändert, mittlerweile schreiben sie auch selbst Songs. Richtig gute, übrigens. Aus einem kleinen Zelt auf der Tollwood 2010 wurde 2014 eine volle Muffathalle, aus einem Echo zwei, aus nationalem ein internationales Publikum. Ihre Shows mögen durchgeprobt sein, ihre Auftritte sind trotzdem sehr sehenswert. Für zwei Stunden gaben sie München ein Stückchen Rock ‘n’ Roll zurück.

    Besucht ihre Website unter www.thebaseballs.com

    Montag, 24. November 2014

    Wenn sich alles um dich dreht

    Sie nimmt sich alles, ohne Rücksicht auf Verluste, stets auf der Suche nach dem Stückchen Glück: Seit dieser Woche ist Madame Bovary im Marstall zu sehen.

    Hätte Emma Bovary (Sophie von Kessel) einen ordentlichen Psychotherapeuten gehabt, so hätte der ihr höchstwahrscheinlich eine manische Depression diagnostiziert. So aber fristet sie, unverstanden von Mann und Familie, ein einsames Dasein. Warum sie denn immer so traurig sei, will ihr Gatte Charles (René Dumont) wissen, es fehle ihr doch an nichts. Und tatsächlich, Materielles ist genug da. Emma scheut auch nicht davor, das Geld mit vollen Händen auszugeben. Ihr Ehemann ist Arzt, eigentlich mehr ein Viehdoktor, er behandelt aber auch die feine Gesellschaft der Gegend. Zumindest so lange, bis er eine Operation verhunzt und kurz vor dem Ruin steht.


    (c) Thomas Dashuber

    Um den tristen Charles schert sich Emma allerdings herzlich wenig. So versinkt in ihrem Selbstmitleid, weint viel, hat Atemnot. Zwischendurch kauft sie beim zuvorkommenden Monsieur Lheureux (Wolfram Rupperti) ein, auf Rechnung, versteht sich. Hätte diese Frau nicht so ein dramatisches emotionales Innenleben, könnte man meinen, bei einer neuen Folge Sex and the City zuzuschauen. Schwer vorstellbar, dass die Basis dieses Stücks, der Roman von Gustave Flaubert, bereits 1856 erschien.

    Irgendwann beschränkt Emma sich nicht mehr nur aufs Shopping. Sie sucht sich Liebhaber, eingenommen von der Vorstellung, endlich mit Leidenschaft erfüllt zu werden. Anfangs scheint das auch zu funktionieren: Rodolphe Boulanger (Bijan Zamani) ist passionstechnisch optimal ausgestattet, er vergöttert sie geradezu. Aber Emma will mehr. “Entführen” soll Rodolphe sie, weg von Charles, weg von ihrem (nicht auf der Bühne zu sehenden) Kind, hin zu einem Leben, wie sie es sich vorstellt.

    Rodolphe kneift. Einen Brief hinterlässt er ihr noch, dann ist sie wieder allein. Und der ach so nette Monsieur Lheureux möchte auch endlich sein Geld haben, mit Zinsen und sofort. Niemand kann oder will ihr einen Kredit geben, die Schwiegermutter (Gabriele Dossi) will sie nicht mehr im Haus haben, selbst Charles wendet sich von ihr ab.
    Es kommt, wie es kommen muss – der tragische Selbstmord der weiblichen Hauptfigur, tausendmal gesehen. Emma stiehlt Arsen aus dem Schrank des Hausapothekers Monsieur Homais (Thomas Gräßle) und findet ihre blutige Erlösung.

    (c) Thomas Dashuber
    Dennoch ist diese Inszenierung von Mateja Koležnik ganz anders als das klassische Gesellschaftsroman-Geschwurbel von Fontane und Co. Hauptsächlich dürfte das an einer exzellenten Sophie von Kessel liegen, die Emmas Facetten der Verzweiflung so authentisch und einfühlsam verkörpert, wie es kaum eine andere Schauspielerin am Staatsschauspiel könnte. Zudem hat Henrik Ahr eine Bühne zusammengezimmert, die neue Möglichkeiten der räumlichen Gestaltung ermöglicht.
    Das drehbare obere Element gibt die Sicht auf einen Raum unter der eigentlichen Bühne frei, aus dem die Schauspieler heraussteigen und in den sie wieder hinabkraxeln. Schlichtes, weißes Design fügt sich unaufdringlich in das Regiekonzept, während sich alles um Emma dreht – bis sie das Gleichgewicht verliert.

    Viel Applaus für eine stille, dennoch kraftvolle Inszenierung mit einer herausragenden Hauptdarstellerin.

    Weitere Vorstellungen am 07. und 17. Dezember. Karten ab 8 Euro
    Informationen und Spielplan unter www.residenztheater.de