Freitag, 13. Juni 2014

Kitsch und Kuchen


Vor Münchner Publikum eine Persiflage über Ludwig II aufzuführen, den Kini, Mysterium und Touristenmagnet für Millionen und sozusagen bayrisches Heiligtum, ist gefährlich. Noch gefährlicher wird es, wenn besagter König gar nicht glamourös, sondern ein depressiver Jean-Luc Bubert ist und seine Vorliebe für den auf Plateaupumps stöckelnden Hausboy (Jakob Geßner) offen zur Schau stellt. Sagen wir mal, das hätte alles gründlich nach hinten losgehen können. Nach bis zum Erbrechen in Musicals und “wahren” Biographien zelebrierten Lebens- und Leidensgeschichten von Wiggerl, Elisabeth und co., servieren uns die drei Regieassistentinnen Lea Ralfs, Charlotte Oeken und Marie Jaksch endlich eine Alternative: eine saukomische Kitschkritik, die nicht an Bosheit und Witz spart und so ziemlich alles und jeden aufs Korn nimmt.

Mit Ludwig II – Eine musikalische Utopie feiert das Volkstheater die letzte, fulminante Premiere in dieser Spielzeit und beschert dem Zuschauer genau das, womit man in den Sommer starten möchte: Komödie vom Feinsten, tränenerstickte Lachanfälle inklusive.



Der Mensch an sich ist ja käuflich. Und deswegen bricht das Publikum auch in regelrechte Jubelstürme aus, als Sophie (Lenja Schultze) Steckerleis verteilt. Außerdem hat es ungefähr vierzig Grad auf der Kleinen Bühne, könnte auch ein Grund dafür sein, dass die Begeisterung so groß ist. Arme Lenja, die in ihrem Fatsuit durch die Gegend hoppeln muss. Sissis essgestörte Schwester ist der heimliche Star dieser Inszenierung. Von ihrem Verlobten Ludwig verlassen, frisst sie begeistert Kuchen nach Kuchen und danach noch ein paar Törtchen in sich hinein und möchte am Ende sogar ihren Koch Jan-Henrik (Viktor Hauser) heiraten, damit sie immer was zu futtern im Hause hat. Ihr Faible für Essen wird schon beim Einlass deutlich, als sie die Mikrophone nicht mit dem üblichen “1,2,3…” testet, sondern feinsäuberlich artikuliert Lebensmittel aufzählt: “Haxxxxxe, Schweinssssshaxxxxxe. Moussssse au Chocolat. Cevapppppcici.”
Tja, und Ludwig…der will “einfach nur hier sitzen” und Trübsal blasen. Der Hofstaat jedoch plant die Feierlichkeiten zum 22. Thronjubiläum und führt zu Ehren des Königs Siegfried auf, wobei ein schwäbelnder Max Wagner den Regisseur mimt und brüllkomisch die (Un-)Eigenarten von Theatermenschen parodiert. An dem ist übrigens ein Sänger verloren gegangen. Denn wir befinden uns, nicht vergessen, in einem Liederarbend. Deshalb wird, von Richard Wagner (Michael Gumpinger) begleitet, gesungen. Und wie! Sissi (Mara Widmann) brilliert mit einer stimmgewaltigen Version von Back To Black, und Ludwig krächzt mit Reibeisenstimme ein I Am So Lonesome ins Mikro.
Als dann ein schmieriger Kerl namens Sam (wieder Max Wagner) auftaucht und mehr oder weniger hinterhältig plant, dem Kini sein ganzes Geld abzunehmen, steigt dieser vollends auf die Verführungsavancen des Unbekannten ein und stürzt sich voller Elan zurück ins Leben. Auf der Suche nach Liebe verliert er die Wenigen, die wirklich zu ihm stehen, aus den Augen, was die natürlich nicht auf sich sitzen lassen.

Der sehr kurzweilige Abend geht so kitschig zu Ende, wie man das nach diesem fantastischen Stück erwartet: Ein auf einem bayrisch gescheckten Fahrrad entschwindender, stupide lächelnder Kini winkt uns zum Abschied zu. Mehr Bayern geht nicht. Mehr Lachen auch nicht.



Donnerstag, 12. Juni 2014

Auch du, stummer Brutus?

© Laura Spes

Es ist muffig, das Licht flackert ein wenig, und die grauen Kellerwände versprühen den Charme einer Stasi-Verhörzelle. Perfektes Ambiente für eine gleichsam verstörende, wie auch einnehmende Inszenierung. Caesar im Haus der kleinen Künste punktet mit einem professionellen Amateurensemble und starken Bildern.

Wohlweislich betitelt mit ‘nach Shakespeare’, versetzt Regieneuling Danijel Szeredy das Geschehen des 400 Jahre alten Dramas in die heutige Zeit und bleibt doch dem julianischen Rom treu. Brutus, der Verräter, gequält von seiner Tat und seinem Streben nach Freiheit, bezahlt den Preis für seinen Vatermord und muss sich Folter und Verhör stellen. Szeredy hat neben der Überarbeitung des Textes und der Direktion auch noch eben die Hauptrolle übernommen. Immerhin musste er dafür keinen Text lernen – sein Brutus bleibt stumm, auch angesichts von Gewalt und Verzweiflung entweicht seinen Lippen kein Ton. Sprach-, fassungs- und klaglos rennt er schlussendlich in das ihm angebotene Messer.

© Laura Spes
Er ist der einzig Leise in dieser Welt voller Anzugträger, die sich uns in diesem Keller darbietet. Caesar selbst (William Newton) kommt nicht oft zu Wort, er lässt lieber den Chor sprechen. Die drei Mädchen, die sich so unglaublich synchron artikulieren, dass es fast gruslig wirkt, sind Folterknechte, Bürger und Aufständische zugleich. Deren Stimmgewalt wird im letzten Akt schmerzhaft deutlich, als die Akustik des kleinen Raumes zum tausendfachen Widerhall ihrer Schreie führt und man sich auf der Startbahn eines Flughafens wähnt. Allgemein wird zu viel auf Lautstärke gesetzt, was schade ist, da die Darsteller es auch ohne den extremen Geräuschpegel vermögen, den Raum zu füllen. Nur Lepidus, Brutus’ Vernehmer (Matthias Mezes), bleibt beängstigend ruhig, während er mit kleinen Gesten seine Schergen zu weiteren Torturen anweist und langsam seine Zigarette raucht.

© Laura Spes
Die Grausamkeit ist allgegenwärtig in dieser Produktion. Die Kellerwände scheinen sie zu reflektieren. Und trotz radikalen Szenenumbrüchen, Textvermengung à la carte und feinsinnigen Kommentaren zur aktuellen politischen Situation bleibt die klare Linie der Regieführung deutlich zu erkennen. Es macht alles Sinn, und genau das fehlt jungem Regietheater sonst. Auch hier sind die interpretatorischen Ansätze nicht ganz einfach zu verstehen, aber nachzuvollziehen. Ein Fakt, den sich so mancher gestandene Theatermacher zu Herzen nehmen könnte. Viel Applaus für ein hochqualitatives Erstlingswerk mit beißender Kritik, mitreißender Dynamik und begeisternden Darstellern.

Informationen unter www.hausderkleinenkuenste.de

Mittwoch, 4. Juni 2014

Neue Freuden, neue Schmerzen

Moosach macht Oper - sogar die bekannteste Oper der Welt. Die Zauberflöte steht auf den Programm. Zauberhafte Stimmen, aber der Sinn der Inszenierung geht im wahrsten Sinne des Wortes flöten.
Das Grüppchen Solisten, das sich da in Moosach versammelt, ist mehr als famos. Eine blutjunge, dennoch stimmgewaltige Königin der Nacht (Astrid Mathyshek), drei bezaubernde Damen (Susanna Proskura, Florence Losseau, Anna Gassler) und ein herzallerliebstes Paminchen (Simone Yael). Und dann eben noch Papageno (Benedikt Eder), als wuschelköpfiges Studentenbürschlein mit Fahrrad und Lederrucksack in Szene gesetzt, der alles und jeden mit seinem Bariton an die Wand singt. Was für eine Stimme! Der kann niemals älter als dreiundzwanzig sein und singt schon jetzt besser als alle Münchner Gesangsstudenten zusammen. Da sehen viele andere eher blass aus, sogar Jason Papowitz, seines Zeichens Urviech der Oper und schon überall mal gewesen. Einen wirklich hübschen Tenor hat er, aber für den “stattlichen Jüngling” Tamino ist er ein bisschen zu alt. Und zu amerikanisch. Und Flöte spielen kann er auch nicht. Aber naja, der Gesang stimmt.



Bleibt die Frage: Warum nur geben sich all diese weltbühnenerprobten, hochbegabten, zu Höherem berufenen Menschen mit einer dermaßen mittelmäßigen Inszenierung zufrieden? Hat denn da niemand mal auf den Tisch gehauen und gesagt: “Werte Frau Regisseurin, ich habe bereits im [hier Opernhaus einsetzen] gespielt, studiere seit Jahrzehnten Gesang und hab sowieso relativ viel Ahnung von dem was ich mache, warum fabrizieren Sie hier so einen sinnlosen [hier skatologischen Ausdruck einsetzen]?”
Ist die Lage auf dem Markt so schlecht, dass sich der Jungsänger mit so etwas zufrieden geben muss?
Man hätte, theoretisch, eine qualitativ hochwertige Bühnenshow abliefern können. Die finanziellen Mittel waren ganz offensichtlich da, Hilfe vom Profi gabs auch – Monika Staykova vom Bayerischen Staatsschauspiel war für die Kostüme zuständig -, und die Musiker brillierten ebenfalls. Dennoch schafft es die Regisseurin Kristina Wuss, diese potentiell fantastische Aufführung zu wenig mehr als Laientheater zu degradieren.

Zwischen gefühlt allen in Moosach wohnenden Mittvierzigern, die schon immer einmal auf der Bühne stehen wollten und nun als Statisten die Gelegenheit dazu bekommen, bewegen sich nun Sarastro (Frits Kamp), seine Schergen und ein paar Kinderlein auf dieser kleinen Bühne, umgeben von lächerlichen und verwirrenden Requisiten. Was soll zum Beispiel dieser singende Plastikhummer, den man Papageno zusammenhangslos überreicht? Oder dieser blöde Medizinball, der ständig von irgendwem rumgeschleppt werden muss und auch keinen erkennbaren Sinn hat? Fand hier so etwas wie eine Leitmotivdarstellung statt? Soll das eine Art Running Gag sein? Und warum steht da immer dieser große Kerl mit dem leuchtenden Ikealampenschirm? Wieso zieht sich Monostatos (Siddique Eggenberger) den Reifrock der 1. Dame an? Und weshalb taucht auf einmal ein überdimensionaler Rabe auf der Bühne auf? Die Liste der Warums ist endlos. Antworten gibt es kaum. Selbst die Mitwirkenden scheinen nicht so recht Ahnung zu haben, was sich ihre Regisseurin denn bei dem ganzen Trara so dabei gedacht hat. Man bekommt allgemein das Gefühl, dass diese Inszenierung ihre offensichtlichen Schwächen durch möglichst viele, möglichst sinnfreie Requisiten übertünchen möchte. Es ist schon bezeichnend, wenn zehn Theaterwissenschaftler im Publikum sitzen und keiner den Sinn dieser alternativdramaturgischen Mittel erkennt. Nichts passt zusammen, nirgendwo ist eine klare Linie zu erkennen.



Dem Publikum gefällt’s trotzdem. Die Kinder liegen zwar schon nach der ersten halben Stunde müde auf Mamas Schoß, aber als Sarastros Löwe – an dieser Stelle Chapeau, gutes Kostüm – auftaucht und zwinkernd durch die ersten Reihen schlendert, werden die Kleinen ganz schnell wach. Mir fällt’s wie Schuppen von den Augen: eine rein für Kinder ausgelegte Zauberflöte wäre doch optimal gewesen! Denen wäre nämlich jedes sinnlose Detail wurscht und Menschen in Tierkostümen kommen immer gut an. Und die Eltern sind stolz, dass sie Schackeline und Jeremy-Pascal ein Stück Kultur näherbringen können.
Für Opernliebhaber und Menschen, die auf Sinn Wert legen, ist die Moosacher Fassung nicht geeignet. Zu sehr ist man gewöhnt an barocke Staatsoperästhetik und den berühmten Roten Faden, der sich durch jede gute Inszenierung zieht. Allen anderen ist die Zauberflöte in der Moosacher Fassung schlussendlich nur aufgrund dieser grandiosen Sänger zu empfehlen. Talent reißt’s halt doch raus.