Keine Revolution ohne das Volk
Es ist eigentlich sehr traurig, dass die Schlichtheit, mit der Christian Stückl Büchners „Dantons Tod“ im Volkstheater inszeniert, so erfrischend wirkt. Kein Einsatz von Videomaterial, kein komplettes Umschreiben des Textes, sogar die Kostüme sind ganz im Stile der Französischen Revolution gehalten. Dazu die Bühne: Das Skelett eines Hauses, dessen durch die Scheinwerfer angestrahlten Querbalken die Atmosphäre eines in die Jahre gekommenen Gefängnisses verströmen. Einen Tisch gibt es, einen Stuhl, eine Karaffe mit Wein und dazu Gläser. Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier hat ganze Arbeit geleistet, die Kargheit ist so drückend, dass man Pascal Fligg zujubeln möchte, als er als Georg Danton auf die Bühne stürmt und das Ende der Tyrannei und Armut fordert.
Sohel Altan G., Pascal Riedel, Pascal Fligg, Leon Pfannenmüller | © Arno Declair / Volkstheater München |
Überhaupt ist dieser Pascal Fligg ein wahres Schauspielwunder: während seine Komparsen ihr eher schnörkelloses Spiel fortsetzen, besticht er mit seiner grandiosen Mimik, sein Zorn ist so echt, dass man zurückzuckt, als er auf Robespierre losgeht. Den Genussmenschen Danton nimmt man ihm sofort ab, so wie er auf der Bühne steht, seinen Wein trinkt und die Moralvorstellungen von Gegenspieler Robespierre, gespielt von Jean-Luc Bubert, anzweifelt. Büchners Text fließt flüssig, auch wenn man doch manchmal das Gefühl hat, dass einige Kürzungen mehr in den Monologen von Vorteil gewesen wären. Die Eindampfung auf neun Rollen bietet zwar den Schauspielern die Möglichkeit, sich voll und ganz auf die Ausarbeitung ihrer Rolle zu fokussieren, dennoch fehlt das Volk – das im Originaltext neben Danton und Robespierre den dritten Hauptakteur darstellt – und damit auch der Eindruck, dass ein Ende der Tyrannei wirklich dringend nötig ist. Letztendlich hört man über die Tragödien, die sich für die Unterschicht abspielen, nur Geschichten aus zweiter Hand.
Das Ende des Stückes hat aber einen gewissen
Gänsehautfaktor: wie Danton, Camille, Philippeau und Lacroix dastehen und einer
nach dem anderen abgeht, um zur Guillotine geführt zu werden, das ist so
bedrohlich und berührend, dass man schaudert. Und als Robespierre die ihn
verspottende Lucile zu Boden drückt und „Es lebe die Republik!“ schreit, fällt
der Vorhang, und zurück bleibt Begeisterung: So muss ein Ende aussehen und
nicht anders! Man fragt sich nur: warum denn erst jetzt so energiegeladen? Denn
bei aller Einfachheit fehlt auch irgendwie die Dynamik: Der etwas mehr als 180
Minuten andauernde Abend hat durchaus seine Längen, einige Monologe sind zu
lang, die anderen zu monoton vorgetragen. Enttäuschend ist auch Sohel Altan G.,
der den Camille Desmoulins eher farblos verkörpert und sich nicht ganz der
Komplexität seiner Figur bewusst ist. Leon Pfannenmüller als Philippeau dagegen
spielt abwechslungsreich, humorvoll, er passt perfekt zu Pascal Fligg und
seinem Danton. Erfreulich kraftvoll gibt sich auch Kristina Pauls als Dantons
Gattin Julie, die Georges amouröse
Eskapaden wortlos hinnimmt, ihren Mann bei seiner Revolution unterstützt und
sich am Ende ohne zu Zögern das Leben nimmt und so einen abwechslungsreichen
Kontrast zu den sich ans Leben klammernden Männern darstellt. Mara Widmann als
Camilles Ehefrau Lucile zeigt trotz kleiner Rolle eine gelungene Gespaltenheit
zwischen kleinem Mädchen und liebender Gemahlin, die sowohl amüsant als auch
bedrückend ist.
Stückls Adaption des Büchner-Klassikers
stellt zufrieden, wenn auch nicht vollends. Man wird den Eindruck nicht los,
dass man einer Upperclass-Gesellschaft beim Schwadronieren über das Leid in der
Dritten Welt zusieht. Im Gegensatz zu seiner Inszenierung von Ödön v. Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald", die in
jedem Fall als außergewöhnlich gut angesehen werden kann, ist „Dantons Tod“
eine eher fade, wenn auch für Büchnerfans recht sehenswerte Angelegenheit.
Premiere am 25.10.2012
Regie: Christian Stückl
Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier
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