Gott ist ein Penner mit Dreadlocks
Simon Solberg ist ein Meister der Bühne. Muss mal so gesagt werden. Diese Konstruktion, die er ins Volkstheater verfrachtet hat, wirkt mächtig, monumental und vor allem ziemlich gefährlich; unter all den alten Autoreifen, Plastiktüten und Kleidern erkennt man eines dieser Klettergerüste aus Tau, das jeder gute Spielplatz haben sollte. An dem hangeln sich die Schauspieler entlang, teils in schwindelerregender Höhe. Aber zunächst hangeln sie nicht, sie sitzen nur. Gekleidet in Müllsäcke, Klebeband, der Poncho von Max Wagner sieht verdächtig nach Omas alter Wolldecke aus. Schnell wird klar: Der Müll spielt eine tragende Rolle. Aus dem werden nämlich immer neue Kostüme gebastelt, Joanna Kapsch wickelt sich Alufolie um den Kopf und spielt ägyptische Prinzessin und Paul Grill gibt den Pharao mit Nippelpatches aus Tape, der uns seine Wünsche nach Eiswürfeln in Pyramidenform singend vorträgt, denn ja, es ist ein Musical. Über die Geschichte von Moses (Johannes Schäfer), der sein Volk aus der Knechtschaft der Ägypter befreien will. Rappend.
Joanna Kapsch, Paul Grill, Max Wagner, Jean-Luc Bubert | © Arno Declair / Volkstheater München |
Zugegeben, es klingt nicht halb so gut wie es ist. Aber was Solberg da auf die Bühne bringt, ist einmalig. Ein wilder Mix aus Improvisationskomik (Max Wagner als dreadlocktragender Gott ist im wahrsten Sinne des Wortes anbetungswürdig - pun intended), Kapitalismuskritik, Publikumsbezogenheit und wirklich guter Musik. Die Heuschrecken sind statt des Getiers die geldgierigen Banker der Neuzeit, die traurig
Hier oben weht ein rauer Wind
Keiner hört uns wenn wir traurig sind
Gott, wenn du mich hörst sag mir
ob es 'nen Himmel gibt für Banker
singen und zu Strobolicht tanzend ihr goldenes Kalb anbeten. Es ist eine wilde, laute, basswummernde Party, die einen Tränen lachen lässt. Die Witze kommen Schlag auf Schlag, man hat kaum Zeit, Luft zu holen, und klappt das doch mal, pustet Jean-Luc Bubert dir Federn in die Fresse. Erst nach der Vorstellung wird einem klar, wie subtil klug dieses Stück doch ist, bei allen Blödeleien, bei allem Konfettiblut. Es ist die schleichende Wahrheit, die es innehat, es erzählt von der Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen, von den seltsamen Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, aber das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern auf fast schon bösartig verspottende Art und Weise.
"Moses war für mich stets der Befreier, der sein Volk durch die Wüste und das Rote Meer schleppt" sagt Solberg über die Hauptfigur seines Stückes. Denn obwohl die Inszenierung vor Situationskomik und Witz nur so sprüht, ist die Story an sich doch recht tragisch. Ein Findelkind, aufgewachsen am ägyptischen Königshof, führt seine Gefährten jahrelang durch die Wüste, hungernd, zweifelnd, verzweifelnd. Da sind Konflikte innerhalb und außerhalb der Gruppe vorprogrammiert. Johannes Schäfer behält den nötigen Ernst seiner Rolle bei und spielt souverän den innerlich zerrissenen Anführer, der zufälligerweise auch noch wirklich gut rappen kann.
Textsicherheit ist sicher nicht die Stärke der Truppe, das kann ich nach mittlerweile dreimaligem Besuch (Das Stück ist wirklich gut!) mit Überzeugung sagen. Aber es sei ihnen verziehen, denn alle haben Spaß, und sie schaffen es sogar, das schwierigste Publikum zu begeistern. Und, das muss man nochmal hervorheben, alle haben überraschend gute Stimmen, es darf also tatsächlich "Musical" genannt werden.
Schade, dass die Gäste hauptsächlich aus Sonderschülern zwischen dreizehn und sechzehn Jahren zu bestehen scheinen, die von übereifrigen Religions- und Ethiklehrern zum Theaterbesuch verdammt worden sind. Das Publikum miteinzubeziehen bringt nämlich nur etwas, wenn es zumindest ein bisschen in der Thematik bewandert ist und nicht zum ersten mal etwas von den zehn Geboten hört. Da verzweifelt selbst Gott dann ein wenig.
Premiere am 28.10.2012
Regie und Bühnenbild: Simon Solberg
Kostüme: Sara Kittelmann
Video: Joscha Sliwinski
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen