Abstecher aus der Hölle
Steven Scharf. | © Judith Buss / Münchner Kammerspiele |
Das Parkett in den Münchner Kammerspielen bleibt heute abend komplett leer, lediglich der Balkon ist geöffnet. Erst als die Bühne langsam von Kerzen erleuchtet wird, ist klar, weshalb: Steven Scharf kauert mehrere Meter über dem normalen Bühnenboden auf einer winzigen Plattform, den Rücken zum Publikum, offensichtlich nackt. Sind das Striemen von Peitschenhieben auf seinem Rücken? Bleibt das eine One-Man-Show? Kann das überhaupt was werden? Die Antwort ist jedesmal: Ja.
Vorstellen wird dieser Mann sich nicht. Erst am Ende, wenn er zurück in die Hölle steigt, wird er sagen: "Ich bin Judas." Zunächst erzählt er aber. Von seinem Leben, bevor er ein Jünger wurde, von seiner Beziehung zu Jesus, vom Verrat. Als er zu der Stelle mit den 30 Silberlingen kommt, prasselt ein gewaltiger Schauer von Schutt und kleinen Steinen auf ihn nieder. Da zuckt man schon innerlich zusammen, angenehm ist das bestimmt nicht. Das sind die Positionen sicher auch nicht, in denen Steven Scharf den Abend verbringt. Zunächst hockend, eingekrümmt, dann wie der Gekreuzigte selbst, am Schluss steigt er langsam, sich windend, die lange Leiter wieder herab, weg von Gott.
"Wenn hier jemand die Sünden der Welt auf sich genommen hat, dann bin ich das!" stellt Judas klar und eröffnet dem Zuschauer die grundlegende Problematik des Themas: Damit Jesus Gottes Plan vollenden konnte, musste er, Judas, ihn verraten und damit Schande auf sich nehmen. Man solle sich vorstellen, wendet er sich an die Zuschauer, der eigene Name sei so in den Schmutz gezogen, dass niemand ihn mehr ausspräche, so verteufelt, dass er für immer mit dem Verrat verbunden sei. Kontrastreich ist die Art, wie Judas sich artikuliert:
einfach, klar, so gar nicht, wie man sich ein Geschöpf aus der Hölle vorstellt. Es ist gewissermaßen ein Versuch des Aufpolierung seines Images. Er kann seinen Namen nicht reinwaschen, aber er kann erklären. Mal trotzig, mal Reue zeigend.
Dass dieser Abend so unter die Haut geht, liegt allein an Steven Scharf, der den doch teilweise recht faden Zeilen von Lot Vekemans' Text so viel Leben einhaucht, dass man sich unweigerlich selbst fragt: Habe auch ich einen Judas in mir? Die Intensität seines Spiels ist einmalig, berührend und befremdlich zugleich. Darf ich überhaupt Mitleid mit einem Menschen wie Judas haben? Oder mich gar mit ihm identifizieren? Nochmals: Ja.
Es gibt an diesem Stück rein gar nichts auszusetzen. Applaus, Kammerspiele, ihr könnt es doch noch.
Link zu Judas in den Münchner Kammerspielen
Premiere am 19.12.2012, Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Johan Simons
Bühne: Bettina Pommer
Dramaturgie: Julia Lochte