Donnerstag, 5. Februar 2015

Die Ekstase ohne Ende

Im Residenztheater feuert Frank Castorf, das enfant terrible der deutschsprachigen Theaterszene, mit seiner Inszenierung von Baal ein wahres Feuerwerk an Gewalt, Sex, Drogen und Liebe ab.

Wo Castorf drauf steht, ist sicher nicht Stückl drin. Frank Castorf ist kein Mann für Warmherziges. Es scheint fast so, als habe der alte Herr Spaß daran, jede seiner Inszenierungen noch ein wenig durchgeknallter, noch ein wenig orgiastischer, noch ein wenig grausamer zu gestalten. “Man weiß doch, was man bei mir bekommt” – so ist es. Vergesst niedliches Volkstheater, hier kommt Baal. Brechts juveniler Erguss hat seinen Verfasser nie zufrieden gestellt, ständig hat der gute Bertolt an seinem Entwurf herumgeschraubt, nie war er wirklich glücklich damit. Castorf war es auch nicht, und so hat er den Originaltext mit Rimbaud und Sartre versetzt und das Szenario nach Indochina verlegt. Die viereinhalb Stunden beginnen und schließen mit einem stakkatoartigen Sprechfeuer der Darsteller, die schließlich am Ende ihrer Kräfte kapitulieren. Vor Brecht, vor Castorf, vor dem Publikum. Bibiana Beglau ringt nach Luft, Andrea Wenzl knicken fast die Beine weg, Franz Pätzold bricht die Stimme ab.

(c) Thomas Aurin
Baal, der trinkt, spielt, fickt, frisst, säuft und noch mehr fickt, ist eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Er nimmt sich, was er will, benutzt Männer wie Frauen, existiert jenseits jeglicher Moral oder Konsequenz. Der ihn verkörpernde Aurel Manthei stolpert mal nackt, mal halb entkleidet über die riesige Bühne, deren Errichtung das Residenztheater Millionen gekostet haben soll. Castorfs Bühnenbildner Aleksandar Denić hat ein drehbares, chinesisch anmutendes und videotechnisch ausgekleidetes Hochglanzobjekt erschaffen, in dem Baals Geschichte dokumentiert wird. Hinter der Bühne, für den Zuschauer nur durch Kamerazuschaltung einsehbar, ein Greenscreen, vor dem die Schauspieler ein gutes Drittel der Aufführung verbringen. Groteske Zuschnitte von Apocalypse Now werden eingespielt, Schweine verzehrt, der Champagner fließt in Strömen. Baal ist monumentales Chaos, Regietheater par excellence. Seltsamerweise bleibt der Saal dennoch recht voll. Ist Castorf im erzkatholischen München angekommen?

Nach den ersten drei Stunden stellt sich fast so etwas wie eine apathische Katharsis beim Zuschauer ein. Immerhin sitzt man jetzt schon lange drin, da kann man sich auch noch den Rest geben. Langweilig wird es nicht. Dennoch strapaziert das Stück die Nerven, man möchte sich den Darstellern anschließen und rauchen und trinken dürfen, um bei der Sache zu bleiben. Der gelebte Exzess verführt.

Am Ende bleibt ein bodenloser Respekt vor den Schauspielern, die sichtbar ihre Grenze überschritten und ihr Bestes – und Schlechtestes – aus sich heraus geholt haben. Castorfs Baal ist das greifbare Böse, die überschrittene Ekstase ohne Ende und die leidenschaftlichste Inszenierung seit Langem.

Weitere Vorstellungen am 07., 13. und 28. Februar, Karten ab 8 Euro
Informationen und Spielplan www.residenztheater.de

Mittwoch, 4. Februar 2015

Es sagt mir nichts, das sogenannte Wir

Die (angebliche) Generation Y, verpackt in einer Inszenierung: Sibylle Bergs Stück mit dem umständlichen Titel Und jetzt: Die Welt! – Es sagt mir nichts, das so genannte Draußen feierte am Dienstag im Münchner Volkstheater Premiere. Eine Wutkritik.

Das bin also ich. Das also bist du. Das ist also diese viel beschriebene, oft belächelte, selten bemitleidete Generation Y. Die Generation Warum-Mach-Ich-Das-Doch-Gleich? Die Generation, über die Menschen Bücher mit Titeln wie Hört auf zu heulen schreiben. Ständig vor dem Smartphone, soziophob, optimierungwütig. Danke Frau Berg, danke für diese vollkommen wahnwitzige und undifferenzierte Stigmatisierung.

(c) Gabriela Neeb

Sybille Berg, die Frau von Welt(schmerz). Selbst ernannte Gallionsfigur des neuen deutschen Feminismus, mit über 50 jetzt auch noch Generationenexpertin. Ist übrigens auch mein Ziel. Also, auf SPIEGEL ONLINE meine kruden Gedanken in Form von Kolumnen veröffentlichen zu dürfen, in denen ich dann Bashing der Extraklasse betreibe. Wenn ich mal so weit bin, dann werde auch ich Frauen sagen, wie sie nicht sein sollten. Frau Berg kommt damit ja auch durch. Sie darf dieses Gewäsch sogar auf Programmhefte drucken. Ein Auszug:

“Liebe Mädchen (…), ich möchte euch sehr ersuchen, alles zu werden, was ihr wollt (solange es nicht das Tanzen an einer Stange beinhaltet). Also alles könnt ihr werden, nur nicht süß. (…) Macht alles, aber werdet nicht süß, denn dann könnt ihr auch auf eure Stirn tätowieren: Nehmt mich bloß nicht ernst. Dann könnt ihr auch gleich Schmuck-/Accessoire-Designerin oder Model/Moderatorin werden oder einen tollen Mann finden. (…) Aber verdammte Hacke, macht euch unabhängig. Von einem Ernährer, von dem Verfall, von all dem Stuss, den Zeitungen und Photoshop euch erzählen.” SPIEGEL ONLINE, 11.10.2014

Zusammenfassend: Liebe Mädchen, ihr könnt alles werden, was ihr wollt. Vorausgesetzt, es harmoniert mit Frau Bergs Vorstellungen einer Feministin. Zu sagen, frau müsse sich unabhängig machen, dann aber Designerinnen/Moderatorinnen (= dümmlich konnotierte, wenn auch meist unabhängige Berufe) unterm Strich zu verdammen, zeugt von einem mikroskopischen Tellerrand. Das ist ungefähr so sinnvoll wie die Aussage, eine Frau dürfe sich im Schlafzimmer niemals devot verhalten, weil das nicht im Sinne des Feminismus sei.

Was reg’ ich mich auf. Angesichts von Bergs persönlicher Vorgeschichte sei ihr das ein oder andere dem “Papierkorb”-Ordner entwischte Essay verziehen. Ihr Stück Und Jetzt: Die Welt! stellt im Berg’schen Universum auch noch das kleinere aller Übel dar. Beschrieben wird fragmentarisch die Sinnsuche des durchschnittlichen Twentysomething-Mädchens. Weil das aber mit Skype, unglücklich verliebt sein und Viagra kochen komplett ausgelastet ist, verteilt “Frau Sibylle” ihren Sud aus Selbstmitleid und Welthass auf drei junge Darstellerinnen. Zwei von ihnen sind Gastschauspieler, eine noch an der Falckenberg, die andere schon durch Rosenmüllers gutdeutsche Kinofilme bekannt. Die dritte im Bunde ist die großartige Lenja Schultze, die seit 2013 fest im Ensemble spielt.

Regisseurin Jessica Glause komplettiert die Frauenrunde und siedelt die Inszenierung irgendwo neben Pathologiestation und Chemielabor an; abwischbar, ersetzbar, seelenlos wie das Leben der namenlosen Erzählerin, so die Semiotik. Plastikvorhänge umrahmen die Kleine Bühne, die Mädchen stecken in diffusen Kostümen, die sich zwischen Skiunterwäsche und OTTO-Katalog-Sortiment bewegen. Diese drei Mittzwanziger, natürlich wunderschön und mit perfekten Körpern, philosphieren nun über das Leben. Oder über das, was sie Leben nennen, denn zwischen hundert Chatnachrichten und einem Anruf der Mutter passiert eigentlich nicht viel. Verliebt in die beste Freundin sind sie, zu dick für Größe 36, wütend und verzweifelt. Opfer ihres Selbstmitleids, so würde ich es formulieren. Denn mir sagt es nichts, dieses “wir” von dem sie sprechen und damit ihre Altersgenossen meinen, zu denen ich faktisch zähle.
Die Momente des Wiedererkennens sind vorhanden, natürlich. Etwa bei dem Satz “Liebeskummer gibt mir das Gefühl, eine außerordentlich emotionale Person zu sein.”. Grandios! Genau wie die karikatureske Zumbastunde der Freundin, die man miterleben muss. Oder die Kritik an unserer hollywoodgeschwängerten und realitätsfernen Auffassung von Partnerschaft. Sie sind da, dieses Augenblicke, in denen man ekstatisch mit dem Kopf nicken und Sibylle Berg die Hand schütteln möchte. Nichtsdestotrotz kann man der Autorin nicht die Fähigkeit zusprechen, die Probleme dieser, unserer, meiner Generation darzustellen. Denn sie ist nicht Teil dieser Generation. Sie ist lediglich eine Frau, die, so scheint es, aufgegeben hat. Die nicht mehr willens ist, die Widrigkeiten des Lebens als das anzuerkennen, was sie sind, nämlich Widrigkeiten. Um Gottes Willen, ich bezweifle nicht, dass sie mehr erleiden musste, als ein Mensch ertragen kann. Trotzdem: ihr Bild des klassischen Generation-Y-Mädchens entspricht nicht der Wirklichkeit. Wir sind vielleicht Heulsusen, Handysuchtis, beziehungsgestört und haben Zukunftsängste. Aber ziellos, das sind wir nicht.

Informationen und Spielplan unter www.muenchner-volkstheater.de