Dienstag, 13. Mai 2014

Ist das Kunst oder kann das weg?

Was letztendlich dabei herauskommt, wenn man eine fantastische Erzählung Kafkas als vierstündiges Hammerstück auf die Mini-Bühne des Rationaltheaters bringt, können wir nur erahnen. Länger als bis zum Ende des ersten Aktes haben wir nämlich nicht durchgehalten.

  


Warum genau möchte man eine Erzählung inszenieren, deren Hauptteil so verschwurbelt und ja, kafkaesk ist, dass man nicht einmal mit Hollywoods Super-Special-Mega-Effects eine auch nur ansatzweise solide Darstellung erreichen könnte? Sicher, einiges klingt noch ganz realistisch: Es beginnt damit, dass ein namenloser Erzähler in einem Prager Café auf einen Unbekannten trifft. Man tauscht sich über Liebeleien aus, beschließt letztendlich, einen Spaziergang zum Laurenziberg zu machen. Dann wendet sich die Erzählung komplett in Richtung Fiktion: Der Unbekannte wird als Reittier benutzt und den Geiern überlassen, ein unglaublich fetter, buddhaähnlicher Mann tritt auf und erklärt dem Erzähler, dass ihn die Landschaft störe, am Ende kann sich der Erzähler aus irgendeinem Grund körperlich verändern.

Der Text ist eigentlich ganz angenehm zu lesen. Natürlich bietet er auch zahllose interpretatorische Ansätze, “Es wird ein Kampf zwischen widerstreitenden Lebenskräften beschrieben”, heißt es in Wikipedia. Der Dualismus zwischen Erzähler und Unbekanntem, dem Dicken und dem Beter, ebenfalls einer Nebenfigur, ist einleuchtend.
Aber was passiert da auf der Bühne? Eingerahmt in ein zirkusähnliches Ambiente schwankt die Inszenierung zwischen Nacktheit, Lärm und Folter – die musikalische Untermalung durch einen jungen Herrn am Keyboard mit bemerkenswert unangenehmer, weil schiefer Singstimme, lässt einen mehr als einmal schmerzhaft zusammenzucken. Da helfen auch seine beiden Sidekicks, ein Mädchen am Cello und ein Kontrabassspieler, beide doch recht gut, nichts mehr. Die sich anfangs barbusig den Rücken geißelnde Dame zieht sich ein rotes Dompteurenjackett an und beginnt, während sie mit freundlicher Stimme Kafkas Text rezitiert, ein “Äffchen” mit Peitschenschlägen und schikanierenden Späßchen zu traktieren. Zwischendurch erschießt sie kurz den Keyboarder, der nach kurzer Zeit leider wieder weiterspielt und -singt, während im Hintergrund verstörende Videos von einer nackten, gefesselten, einen verschneiten Berg hochsteigenden Frau gezeigt werden.

Der eineinhalb Stunden andauernde, erste Akt (von drei) bietet zwar einige witzige Gags, die aber so oft wiederholt werden, dass sie nur noch peinlich wirken, und bietet auch nach intensivem Nachdenken keinen interpretatorischen Ansatz, der dieses Chaos auf der Bühne rechtfertigen könnte. Wobei, der Regisseur Dominik Frank (fun fact: er hat sein Studium der Theaterwissenschaft mit einer Arbeit über “Nacktheit auf der Bühne” beendet, welch Zufall!) hat sich bestimmt so einiges dabei gedacht. Sind wir zu konservativ? Zu kleingeistig? Zu sehr an “angenehmem” Theater interessiert? Wir werden es nie erfahren. Aber eines kann man wohl mit Recht behaupten: Erst wenn man Frank Castorf heißt, kann man dem Publikum problemlos vier-und mehrstündige Bühnenadaptionen (siehe “Reise ans Ende der Nacht” im Residenztheater) hinklatschen und trotzdem bejubelt werden.

Nichtsdestotrotz muss an dieser Stelle doch die schauspielerische Leistung der Darsteller/Performer Lisa Oertel, Anne Roemeth und Clara Becker-Jostes (letztere leider im ersten Akt nur in einem Video aufgetreten) gewürdigt werden. Nicht nur, dass diese Art der Selbstaufgabe auf einer Bühne immer großen Mut erfordert, auch der schiere Berg an Text (allein im ersten Akt! Madre mia!) wird wirklich gut bewältigt und die Hingabe, mit der gespielt wird, ist beachtlich. Dennoch wäre das Schauspieltalent der Beteiligten in sinnvolleren Inszenierungen besser aufgehoben.

Wer trotzdem den Kampf wagen will, hat noch mehrmals die Chance dazu: am 21. und 22. Mai, sowie am 04., 05. und 6. Juni. Wer weiß, vielleicht wird das Ganze ja noch besser? Wer es bis zum Ende durchhält, möge doch bitte eine kurze Zusammenfassung in Form eines Kommentars hinterlassen, damit wir uns nicht für immer in Unwissen wiegen müssen.

Regie: Dominik Frank
Dramaturgie: Ayna Steigerwald 
Bühnenbild/Raumkonzept/Video/Kostüm: Lars Altemann, Kalas Liebfried, Stefan Natzel

Eine Produktion des Rationaltheater München e. V. in Zusammenarbeit mit RegieAlsFaktor & Collectif L’Homme révolté.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen