Zwischen Wahn und Wirklichkeit
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Magdalena Wiedenhofer, Max Wagner | © Arno Declair / Volkstheater München |
"Wenn Sie's vor der Vorstellung mal im Internet gesucht haben, steht da: '
Das Wintermärchen von Shakespeare ist eine Komödie'. Und jetzt haben Sie den ersten Teil gesehen und fragen sich so: Und wo ist da die Komödie?"
Lenja Schultze stöckelt mit Bobperücke und Adidas-Trainingsanzug auf der Bühne herum. Sie stellt sich als "die Zeit" vor und bringt dem Publikum den plötzlichen Zeitsprung von 16 Jahren näher. Gerade hat der zweite Teil angefangen, und das was sie da sagt, stimmt. Lustig war das Ganze bisher nicht so wirklich, eigentlich höchst tragisch.
Zur Story: Leontes, der König von Sizilien (
Max Wagner) und seine Frau Hermione (
Magdalena Wiedenhofer) werden demnächst zum zweiten Mal Eltern. Zur Zeit ist auch ihr gemeinsamer Freund Polixenes, der König von Böhmen (
Pascal Fligg), zu Besuch. Leontes bezichtigt in eifersüchtigem Wahn seine Frau, eine Affäre mit Polixenes zu haben und behauptet, sowohl der Sohn Mamilius, als auch das ungeborene Kind seien nicht seine Nachkommen. Obwohl niemand am Hof an Hermiones Schuld glaubt, lässt er sie wegsperren und befiehlt nach ihrer Niederkunft, das Neugeborene auszusetzen.
Mamilius stirbt vor Kummer und Hermione bricht zusammen. Sie wird für tot erklärt und Leontes bereut gramgebeugt seine Entscheidungen.
Womit wir beim aktuellen Zeitpunkt wären: 16 Jahre später. Das damals in der Wildnis ausgesetzte Kind wurde von Schäfern aufgezogen und ist zu einer hübschen, wenn auch etwas schlichten jungen Frau herangewachsen, Perdita ist ihr Name. Sie und der Sohn von Polixenes sind verliebt, was sie aber aufgrund des Standesunterschiedes nicht öffentlich machen können. Auf einem Schafschurfest wird das Paar entlarvt, und gleichzeitig brechen die Schäfer ihr Schweigen darüber, dass sie vor 16 Jahren ein Findelkind in königlichen Kleidern aufnahmen.
Ja, Shakespeare war noch nie in einem Satz zu erklären. Aber
Das Wintermärchen ist im Original tatsächlich eine romantische Komödie, liegen sich doch am Ende alle happyendmäßig in den Armen.
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Constanze Wächter, Oliver Möller, Jakob Geßner, Sohel Altan G. | © Arno Declair / Volkstheater München |
Nicht bei Christian Stückl!
So ernsthaft und tragisch der erste Teil der insgesamt fast drei Stunden andauernden Inszenierung ist, umso trashiger wird der zweite. Irgendwie scheint es, als habe sich Herr Stückl gegen Probenende auf die Schenkel gehauen, kräftig an seiner Zigarette gezogen und laut gerufen: "Ja Herrschaftszeiten, des werd ja goar ned lustig!" Und daraufhin den kompletten zweiten Teil so schmerzhaft verzerrt, dass man sich in einem komplett anderen Stück wägt.
Man muss ihm zugutehalten, dass sich das Werk schon im Originaltext sehr schnelllebig und vor allem sehr abrupt zeigt. Zum Beispiel ist die Wandlung vom hasserfüllten zum bereuenden Leontes bereits bei Shakespeare unglaubwürdig schnell. Aber wer bin ich, den großen Meister zu kritisieren...wie auch immer, im zweiten Teil geht im wahrsten Sinne des Wortes die Party ab. Da fliegen die Kostüme, das Bier schäumt und es wird zu versauten Refrains getanzt.
Oliver Möller als ein Gauner namens Autolycus darf sich einen aus einer Discokugel gebauten Helm aufsetzen und oft seinen besorgniserregend dürren Körper zeigen. Und Perdita (
Constanze Wächter) hat, ganz wie ihre Ziehfamilie (
Jean-Luc Bubert und
Sohel Altan G.) einen unerträglichen Berliner Dialekt, während ihr Liebster Florizel den Prinzen raushängen lässt, der durch
Jakob Geßners übertriebenes Schauspiel extrem - Achtung, politisch inkorrekt - tuntig wirkt. Was ziemlich seltsam ist, so wie er doch Perdita liebt.
König Leontes, die vergangenen 16 Jahre werden durch einen Vollbart und lange Haare gekennzeichnet (Max Wagner steht auch wirklich alles...), meditiert vor dem kerzenbeleuchteten Sarg seiner Frau, trägt einen Judoanzug und führt Kung-Fu-Bewegungen aus, wenn er sich aufregt. Und das tut er oft, wird er doch noch immer gebeutelt von der Erinnerung an sein verlorenes Kind. Höhepunkt und gleichzeitig Schlussakt ist die letzte Szene: Hermione als lebensechtes Standbild erwacht wieder zum Leben und tötet mit Roboterstimme und -gestik ihren Ehemann. Der Hofstaat eilt in die Szene, entdeckt den toten König, man wendet sich mit entsetzten Gesichtern zum Publikum, schreit: "LEONTES!" und das Licht geht aus.
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Barbara Romaner, Lenja Schultze, Magdalena Wiedenhofer, Pascal Riedel, Max Wagner | © Arno Declair / Volkstheater München
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Ein kraftvolles Ende, fürwahr. Das Publikum ist auch ganz hingerissen. Aber trotzdem wirkte der gesamte zweite Teil so, als käme er geradewegs aus der Feder eines jungen Regisseurs, der verzweifelt nach Lachern strebt. Von Sebastian Kreyer hätte man das vielleicht erwartet, aber nicht von Christian Stückl. Die ganze Inszenierung ist so untypisch für ihn, dass man gar nicht weiß, was man davon halten soll. Letztendlich unterhält
Das Wintermärchen gut. Und man darf hoffen, dass die wunderschöne Magdalena Wiedenhofer noch mehr tragende Rollen am Volkstheater ergattert. Ihre Performance war so faszinierend, dass sie mit Leichtigkeit alle anderen Darsteller überstrahlte. Mehr davon, bitte! Ansonsten kann man für Stückls neuestes Bühnenwerk durchaus eine Anschauempfehlung geben, ob man den Trash am Ende mag oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Dem Premierenpublikum hat's doch gefallen.
PS: Gebt Oliver Möller ein Sandwich. Bitte!
PPS: Ich erkläre die Premierenpartys vom Volkstheater zur absoluten Entertainment-Garantie. Danke!
Link zu Das Wintermärchen im Volkstheater
Premiere am 09.03.2014
Regie: Christian Stückl
Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier
Musik: Tom Wörndl